Die neue Ära der konsensuellen Räume und was sie für uns bedeuten

Die neue Ära der konsensuellen Räume und was sie für uns bedeuten

Wir wollen unsere Konsensmuskeln trainieren! Seit acht Jahren gibt es die Zwischenwelten und in dieser Zeit hat sich viel verändert. Diskurse rund um Gleichberechtigung, Machtverhältnisse und Konsens haben sich intensiviert; viel neues Wissen steht uns zur Verfügung. Wir durften erleben, wie sexpositive, queere und kinky Räume, zumindest in Zürich, hip geworden sind. Während wir vor acht Jahren noch Pionierinnen waren, sind inzwischen viele Menschen aus der Community überfordert von der Bandbreite an Angeboten. Wir haben viel erlebt in dieser Zeit: über 250 Veranstaltungen haben bei uns stattgefunden.

Es gibt immens viel Wachstum es gibt auch harzige Muster. Neben aller Liebe, aller Freude und allem Glück, das wir erleben durften, gab es auch Momente von Schuld, Scham, Trauer. Wann haben wir überreagiert? Wann haben wir unterreagiert? Sollen wir jetzt noch Stellung nehmen? Wie wichtig sind unsere persönlichen Bedürfnisse nach Sicherheit? Wann geht es darum, einzuschreiten, wann geht es darum, unsere Egos zurück zu stecken? Ein Grossteil unserer Arbeit investieren wir in Gespräche, Beziehungspflege und Aufarbeitungen. Stunden über Stunden haben wir grössere und kleinere Dramen miteinander diskutiert, Fazite gezogen und uns Konsequenzen ausgedacht. Manchmal machte es Dinge besser, Manchmal machte es Dinge schlimmer, Manchmal haben wir sie gar nicht ausprobiert, sondern wieder vergessen.

Als Kursleiterinnen beobachten wir oft wiederholende Dynamiken und Muster. Oft drehen sich diese um ähnliche Themen: Angst vor Ablehnung, Angst vor Konflikt, Angst vom Nein sagen, Angst vom Nein hören. Während es vielen Menschen leicht fällt, Momente von Erleuchtung und Resonanz zu feiern, verpassen viele den Moment, wo sie eine Situation pausieren oder stoppen sollten. Wegschauen ist oft die bekanntere Strategie. Das Unbequeme wird oft erst später hinter verschlossenen Türen und im Privaten verarbeitet. Manche suchen sie den Fehler bei sich. Andere grenzen sich soweit davon ab, dass sie andere verurteilen und schlecht über diese Denken oder Sprechen. Es gibt legitime Gründe, sich soweit zurückzunehmen, damit eine Lernerfahrung aufrechterhalten werden kann. Wir sind aber überzeugt, dass nur dann eine authentische Verbindung passiert, wenn Missmut oder Diskomfort frühzeitig ausgedrückt werden kann.

Um es an diesem Punkt klar ausgesprochen zu haben: Wir lieben unsere Community und sind froh über den regen Austausch, der passiert, all die Grosszügigkeit und Spielfreude, die wir erleben dürfen. Und deshalb – aus Wertschätzung – wollen wir uns aktiver darum bemühen, auf der Gruppenebene eine fehlerfreudigere Kommunikationskultur aufzubauen. Die Leitplanken sind in vielen Communities schon gesetzt: Es braucht hierfür ein gewisses Mass an Selbstkenntnis und Sichherheit auf der individuellen Ebene. Gleichzeitig braucht es aber auch eine Community, welche Gefühle von Zugehörigkeit und Kollektivgesundheit fördern will. Für das braucht es unserer Meinung nach eine urteilsarme, flexible, und wertetreue Herangehensweise. Authenzität muss hierbei wichtiger sein als “Good Vibes”. Wir wollen alle Menschen in unseren Räumen ermächtigen, ihre Stimme, Körper und ihre Intuition zu nutzen. Wir wollen Kritik, Feedback und Flexibilität niederschwelliger machen. Wir wollen explizit dazu einladen, Dissonanz auszusprechen, um neue Wege zu gehen. Lasst uns gemeinsam den Standard erhöhen und wachsen!

In verschiedenen Räumen existieren schon verschiedene Begriffe, um die Kultur innerhalb dieser Räume zu definieren (safer(er) Spaces, Sexpositive Space, Braver Spaces, Conscious Spaces usw.). Wir haben oft auch gewisse Begriffe benutzt, oder uns aktiv dagegen entschieden. In unseren Anfängen spielte vor allem der Begriff Sexpositivität eine grosse Rolle. Es war uns wichtig, dass wir Räume öffnen, wo auch explizit unsere Lust und Erregung Platz haben, in welcher Form sie sich auch immer zeigen mochte (oder auch nicht). Hintergründig war uns gleichermassen klar: wir wollen Räume, wie wir sie aus der BDSM-Welt kennen. kontinuierliche Austausche über Standards, Wissensvermittlung auf Augenhöhe, Community-Pflege und Kollektiv Wachstum waren für uns Standard.

Nun wollen wir unsere Räume explizit als Konsensuelle Spaces definieren. Wir lassen uns hierbei von Joris Kern Definition von Konsensualität inspirieren: Konsensuelle Räume sind Räume, wo wir uns stetig in einem organischen Prozess befinden. Wir wollen ein Miteinander schaffen, in dem die Beteiligten sich so weit im Kontakt entspannen können, dass sie überhaupt in der Lage sind, wahrzunehmen, was sie (nicht) wollen, und sich trauen, das zu zeigen. (Zitat Buch)

Die Konsensualität verstehen wir hierbei als grundsätzliche Geisteshaltung: Ich nehme mich wahr und kenne mich und meine Grenzen. Gleichzeitig bin ich Teil einer Gruppe, der ich Sorge tragen will. Ich vertraue meiner Intuition und stelle mich nicht unter oder über andere Menschen. Wenn ich mich unwohl fühle, ist das ein Signal für mich, in Aktion zu gehen. Wir sind alle proaktiv darum bemüht, ehrlichen Austausch zu haben, uns in unserer Verletzlichkeit zu zeigen, und auf eine radikale Art auch konsequente Grenzen zu setzen. Dies ist eine Strategie, um miteinander und mit unserem eigenen Sicherheitsgefühl und Selbstvertrauen in Verbindung zu bleiben.

Worte wie Freiheit und Selbstbestimmung sind subjektive Konzepte. Wir erkennen an, dass alle Menschen verschiedene Ressourcen und Wahlmöglichkeiten haben. Wir erkennen auch an, dass ein konsensueller Space durch die Handlungen der darin agierenden Menschen steht und fällt. Konsensmuskeln lassen sich nicht im isolierten Raum trainieren. Wir brauchen Gegenüber, die sich trauen, uns offen zu spiegeln, was in ihnen vorgeht, auch wenn es auf den ersten Moment bedrohlich oder unschön wirkt.

Menschen sind Rudeltiere. Unsere Wahrnehmung ist immer eine Zusammensetzung aus eigener Interpretation einer Situation wie auch Koregulation (spüren und reagieren auf die Wahrnehmung anderer). Wir sind überzeugt, dass unser Bauchgefühl eine unterschätzte Ressource ist, die wir vermehrt nutzen wollen. Dies, um in einer präziser Verbundenheit zu bleiben und neue Zugänge zu Konsensualität zu gestalten.

Sidonia
sidonia@zwischenwelten.ch
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