Missbrauch: Definitionen, Abläufe und Handlungsmöglichkeiten

Was ist Missbrauch?
Deine Autonomie als Mensch wird nicht wertgeschätzt und es wird in deine persönliche Domäne eingegriffen. Deine Domäne umgreift deine Zeit, deinen Körper, deine Aufmerksamkeit, dein Wissen, deine Glaubenssätze, deine Emotionen. Eine andere Person greift ein und will Kontrolle über deine Domäne haben, zu eigennützigen Zwecken. Diese eigennützigen Zwecke werden aber selten offen dargelegt. Oft werden diese Ausbrüche als impulsive Handlungen abgetan. Missbrauch kann ganz verschieden aussehen und sollte kein Grund für Scham sein.
Sprich mit vertrauten Menschen oder Fachpersonen darüber, wenn du glaubst, betroffen zu sein.

 

Was ist emotionaler Missbrauch?
Emotionaler Missbrauch wird manchmal auch als narzisstischer Missbrauch definiert und es gibt vieles dazu Online zu finden. Es ist eine wenig diskutierte und sehr perfide Form von Gewalt, weil sie nur sehr schwer nachgewiesen und in Worte gefasst werden kann. Es geht darum, dass deine Gefühle, deine Wahrnehmung, deine Zeit usw. dir über Zeit systemisch abgesprochen wird.
Dies kann zu Symptomen von tiefem Selbstwert, schlechtes Grenzen setzen, Benommenheit, Verwirrung, Orientierungslosigkeit, kreisende Gedanken, bis zu chronischen Krankheiten, psychischen Krisen usw. führen.

 

Wie läuft emotionaler Missbrauch ab? 
 Es kann ganz verschieden aussehen, und es gibt keine abschliessende Antwort auf das. Hier eine lose Grundstruktur:

 

Phase 1: Emotionaler Missbrauch kann erst entstehen, wenn eine Beziehung aufgebaut wurde. Dafür muss erst einmal Vertrauen etabliert werden. Dies kann in der Form einer platonischen Freundschaft, Familienbündnis, Beziehung aufgebaut werden, oder in aktivistischen Organisationen, Religionen, ideellen Communities, Arbeitsplätzen, usw. Wir lernen die missbräuchliche Person oder Organisation/Struktur in einem positiven Licht kennen. Es gibt oft schon früh schon erste Warnzeichen, diese werden aber häufig ignoriert, weil die Erlebenden geübt darin sind, sich selbst zu hinterfragen, einen hohen moralischen Anspruch an sich halten und nicht sozial negativ auffallen wollen. Oder weil die Sehnsucht des Versprechens dieses Bündnisses zu gross ist, um auf die eigene Intuition zu hören.

 

Phase 2: Abhängigkeiten schaffen und Autonomie wegnehmen: Nachdem die Bindung stabil ist, wird (oft sehr systematisch und wiederholt) mit deinen Grenzen gespielt. Dir werden deine Emotionen und Bedürfnisse abgesprochen, es wird dir erklärt, wieso du dies falsch siehst.  Auf verschiedene Arten kann Druck gemacht werden, sei es durch das Ausnutzen von Unwissen, Bedürfnissen, ideologische Verdrehungen, Zeitdruck, usw. Dies schafft bei den angegriffenen Personen oft eine Erschöpfung oder Verwirrung und es wird entschieden, gewisse Dinge einfach zu machen und loszulassen, weil Grenzen wahren oft anstrengender sind als nachzugeben. Dieses Antizipieren von Stress, Wut, Drama ist ein Mechanismus, der Missbrauch so umsetzbar macht.

 

Phase 3 Vertiefung des Missbrauchs: Je gewöhnter sich die angegriffene Person wird, die eigenen Grenzen bespielt zu bekommen, desto einfacher (und oft auch absurder) kann der Missbrauch werden. Die erlebende Person verliert mehr und mehr Bezug zu sich selbst, und versteht die Widersprüche und Desorientierung nicht mehr, kann sie auch nicht mehr einordnen.

 

Wie sieht eine toxische Person aus? 
Plump gesagt: Alle Menschen haben egoistische, manipulative, toxische und destruktive Persönlichkeitszüge. Wenn unser Nervensystem in den Gefahrenmodus geht und uns die Ressourcen fehlen, können wir uns in verschiedenen Hinsichten problematisch und übergriffig aufführen,  so dass wir uns nachher dafür schämen, oder es bereuen.  In missbräuchlichen Beziehungen kann es sehr wohl sein, dass sich auch Zyklen einschleichen können, wo wir immer wieder stark und manchmal auch ekzessiv reagieren.

 

Die Differenzierung zu manipulativem Verhalten machen wir hier bei systemischer Ausübung von toxischem Verhalten, um Macht auszuüben und es eigennützig anzuwenden und eine mangelnde Bereitschaft, das eigene Verhalten kritisch zu reflektieren. Leute, die systematisch emotionale Gewalt ausüben, haben oft die kognitive Fähigkeit, Emotionen von anderen zu verstehen und auch bespielen zu können. Gleichzeitig sind sie auf der Körperebene nicht empathiefähig.

 

Wichtig ist: Es gibt bei toxischen Menschen kein klares Profil. Ohne Empathie und Verbindung zu den eigenen Emotionen steht das Aufrechthalten eines konzeptuellen Narrativs im Vordergrund – und das Wichtigste ist plötzlich, dass die betroffenen Personen dieses Narrativ verwirklichen. Wenn das nicht passiert, gibt es negative Konsequenzen für das Gegenüber. Das Ausüben von Macht auf diese Art kann verschiedene Gesichter haben. Toxische Menschen können sehr bescheiden, selbstlos, aufopferisch wirken, es können scheinbare Gutmenschen sein. Sie können sich als Feminist*innen oder Aktivist*innen maskieren. Natürlich gibt es auch die klassischen grandiosen Menschen die mit polierten Porsche und Goldschmuck prahlen wollen, gerne im Mittelpunkt stehen und ein ständiges Bedürfnis nach Lob haben. Wichtig ist, die Muster zu verstehen und zu merken, dass es kein klischeehaftes Bild gibt.

 

Wer fällt darauf hinein?
Emotionaler Missbrauch kann grundsätzlich jeder Person angetan werden, oft sind die Menschen, die betroffen sind, intelligente, empathische, hilfsbereite Menschen. Opfer von einem solchen Spiel wirst du immer, weil die Person, die dich manipulieren will, etwas in dir sieht und etwas von dir braucht. Daher kann das genauso gut Menschen passieren, die als sehr stark gelesen werden, erfolgreich sind, usw. sind. Auch hier gibt es also kein Mauerblümchen-Klischee, woran wir uns orientieren können.
Es ist aber durchaus so, dass gewisse Dynamiken, wie People-Pleasing Tendenzen, Harmoniebedürftigkeit, Hochsensitivität, starke Unabhängigkeit und vergangene Beziehungen und Erlebnisse das Hereinfallen begünstigen. Wenn du merkst, dass dir diese Dynamik oft passiert ist es sehr wichtig, die eigene Anteile zu lernen und dein System soweit zu stärken, dass du solche Geschehnisse in Zukunft verhindern kannst.


Und jetzt?
Erst einmal durchatmen. Wir leben in einer sehr bedrückenden Gesellschaftsstruktur, die von Missbrauch und  Ausbeutung von Menschen, Tieren, Natur abhängig ist. Strukturelle Einsamkeit, Kapitalismus usw. engen unsere Ressourcen inherent ein. Diese Dynamik kann florieren, und das hat System.

 

Toxische Systeme können gebrochen werden, indem du dich von der Person, wo du dich misshandelt fühlst, abgrenzt, emotional, räumlich, praktisch. In gesunden Beziehungen wird deine Bitte nach Distanz  respektiert. Dafür ist es oft wichtig, dass du dir erlaubst, Unterstützung von anderen anzunehmen, und dir die Ressourcen holen kannst, dich selbst wieder zu orientieren. Gute Supportsysteme geben dir Platz und hören dir wertfrei zu, glauben dir und hinterfragen deine Handlungen und deine Geschichten nicht. Sie stärken dich durch praktische Unterstützung (manchmal heisst das auch Unterkunft, Essen, Geld), wohltuenden Momenten, und indem sie dir die Zeit geben und dafür sorgen, dass du deine Aufmerksamkeit mehr und mehr auf dich selbst zurücklenken kannst. Auch da, soweit möglich, mit dem gegenseitigen Respektieren der Grenzen der Möglichkeiten.

 

Gute Therapien und weiterführende Angebote helfen dir, deinen Selbstwert zu stärken und sind sanft und empowernd, und es wird oft empfohlen, dass somatische Arbeit ein Teil davon ist. Nur ausgebildete Traumatherapeuten sollten auf der professionellen Ebene mit dir in deiner Vergangenheit rumwühlen und auch da sollte sich dies gut und selbstgesteuert anfühlen. Es geht um dich und nicht um die andere Person oder Organisation und auch nicht um die tollen Kompetenzen deines Coaches. Auch in diesen Bereichen ist nämlich Missbrauch sowie Retraumatisierung möglich und es ist ganz wichtig, dass du sorgfältig auswählst, was für dich stimmt und für dich einsteht, wenn etwas nicht stimmt. Erfahrene Professionals werden dich nicht drängen.

 

Anlaufsstellen
Telefon 143 und Opferhilfe
www.dorisbussmann.ch
www.selbsthilfeschweiz.ch
www.deliaschreiber.ch
zwischenwelten.ch/dozenten-und-mitwirkende-zwischen-den-welten

 

Empfohlene Ressourcen zu emotionalem Missbrauch an Workshops
redflagsinworkshops.com

 

Empfohlener Text über ISTA
boodaism.com/ista

 

Event von uns zum Thema
zwischenwelten.ch/konsens-toxische-beziehungen-peer-event